Nein, der Holländer-Michel hat nicht Schuld an der Kaltherzigkeit der Menschen – schiebt sie ihm nicht in die Schuhe! Er ist ein armer Wicht, der Passanten um ein Almosen anbettelt. Was er anbietet, ist ein Tausch: Angst gegen Geld. Wie ein guter Psychiater analysiert er seine Besucher, wie ein Freund bietet er seine Hilfe an. »Gib mir das dumme pochende Ding, und Du sollst sehen, wie gut Du es dann hast.« Er zwingt niemanden, dieses Geschäft mit ihm einzugehen, doch er profitiert von allen schlechten Dingen, die es in der Welt gibt: von der Armut, der Dummheit, der Gier, dem Neid.
Wie schon in dem berühmten Film von 1950 wird die Geschichte von Peter Munk erzählt, der sein Herz gegen Geld verkauft. Als Köhler gehört er zur untersten Schicht der Gesellschaft, wird gedemütigt und verhöhnt. Doch weil er verliebt ist in eine Tochter aus reichem Hause, will er sein Schicksal ändern und ebenfalls reich werden. Der Legende nach hat er als Sonntagskind beim Glasmännlein drei Wünsche frei, und so macht er sich auf, den Waldgeist zu suchen. Dieser erfüllt ihm seine Wünsche nach Ansehen und Geld. Peter ist nun der beste Tänzer der Umgebung, hat im Gasthaus immer soviel Geld in den Taschen wie der Holzhändler Etzel und besitzt die schönste Glashütte im Schwarzwald. Dumm nur, dass ihm die Hütte allein nichts nützt, da er das Glasmachen nie erlernt hat. Und so »verdient« er sein Geld nur beim Würfeln mit Etzel, indem er diesen gewinnen lässt – bis auf dieses eine Mal, als er ihn schlägt und plötzlich ohne einen Gulden dasteht. Verzweifelt sucht er also Hilfe beim Holländer-Michel.
Natürlich wird Erwin Geschonneck auf ewig der wahre Holländer-Michel bleiben – allein schon, weil er der Größere ist und Moritz Bleibtreu sich nicht in einen Riesen verwandelt. Er gibt der Figur des schrecklichen Holzfällers eher etwas Trauriges, Pennerhaftes. Doch das muss die Fans des DEFA-Films nicht abschrecken. Denn obwohl sich Regisseur Johannes Naber (»Der Albaner«, »Zeit der Kannibalen«) durchaus eher an dieser Version der Geschichte orientiert als an Hauffs Märchenerzählung, ist seine Neuverfilmung nichts weniger als eine Kopie. Er flicht neue Handlungsstränge und Figuren ein – so etwa Lisbeths Vater Löbl, der wie ein strenger Dr. King Schultz daherkommt. Frederick Lau als Peter Munk ist so hinreißend dumm, dass man ihn sofort in sein Herz schließen muss. Und Roeland Wiesnekker als Etzel ist ein grandioser Bösewicht, der mit einem einzigen Blick töten kann.
Auch die Welt selbst ist verwandelt: Hier tragen die Menschen Gesichtstätowierungen, hier existieren Geister, hier wandern die Seelen der Verstorbenen hinüber ins Tierreich. Alles ist archaisch und fremd und wirkt gleichzeitig sehr vertraut: Kleidung, Frisuren, Tänze und Kampfelemente – nichts davon entstammt dem üblichen Fantasy-Fundus, sondern nimmt seine Inspiration aus sowohl europäischen als auch afrikanischen und asiatischen Traditionen.
Fazit: Spannende Neuverfilmung des Märchenklassikers. Absolut sehenswert. Kein Kinderfilm!
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erschienen im DRESDNER Kulturmagazin 10/2016