Wenn diese Rezension eine Geschichte wäre, dann würde sie so beginnen: Am Anfang war das Wort. Und es war Liebe mit dem ersten Wort, das er sprach. Denn am Anfang twitterte der Bachmann-Juror Klaus Kastberger die besten ersten Sätze des Wettbewerbs 2016. Auf Platz 2: »Am Ende diese Flug verlieren ich und meine Mutter unseren Koffern.« Grammatikalisch völlig indiskutabel, zumal beim Hochamt der Deutschen Literatur. Doch dann las der Autor dieses Sprachungetüms den Satz genauso, und alle Sätze, die folgten, waren vom selben Kaliber. Und er saß da und las und lächelte dazu, und die Fehler waren ihm offensichtlich völlig egal.
Es ist die Geschichte einer Land- oder »Sprach«-nahme. Tomer Gardi nimmt sich die deutsche Sprache, um etwas zu erzählen, das er nur auf deutsch erzählen kann. Weil es mit der Sprache zu tun hat und mit dem Zurechtfinden innerhalb von Konjugation und Deklination, parallel zum Zurechtfinden im fremden Land Deutschland.
Auf den ersten Blick ist dieser Roman zufällig zusammengewürfelt, die aneinandergereihte Anekdoten sind beinahe banal. Da ist die Sache mit dem gestohlenen Auschwitz-Schriftzug. Nach der Wiederauffindung in Schweden konstatiert der Erzähler: »Jetzt ist alles vorbei. Sind alle Froh. Die Dieben erwischt. Das Schriftzug auch. Und jetzt, was jetzt? Was tuhen die jetzt? Schild wieder hängen?«
Oder die Schilderung des Versuchs eines Unbekannten, die Religion des Erzählers zu erraten. Er nennt alle Religionen, nur nicht das Judentum. Der Erzähler merkt an: »Faszinierend. Als ob der Endlösung seine totaler Erfolg erreicht hatte.«
Alles wird zusammengehalten von mindestens zwei Erzählungsrahmen: der Geschichte vom vergrabenen Messer und der Koffergeschichte, die am Flughafen ihren Ausgangspunkt nahm.
Vielleicht ist es ein Schelmenroman, und vielleicht erzählt hier ein jüdischer Schwejk von einem Juden, der des Antisemitismus bezichtigt wird, weil er über jüdische Grundstücksspekulanten im gentrifizierten Berlin berichtet. Oder von seiner Konfrontation mit der Polizei: »Im Bullenstation, immer besser leiser zu sein. Bis eure Anwahlt kommt. Nichts sagen. – Meine eigene Weisheit und Wissen konnte ich da aber selber nicht folgen. Also, konnte vielleicht schon, hab aber nicht.«
Übersetzungsfehler des Bewußtseins – Sprachfehler der Erinnerung
Wie wunderbar Tomer Gardi simple Dinge beschreiben kann: mit vielen Worten und Wiederholungen. Denn diese sind ein prägendes Stilmittel im Hebräischen. Durch Wiederholungen drückt man Komparativ und Superlativ aus: Heilig heilig heilig bedeutet der/das Allerheiligste.
Und auch wenn Gardi nicht von Heiligkeit spricht, so doch von heiligen Dingen. Von Erinnerungen, die Menschen mit sich herumtragen: an peinliche Situationen etwa, oder an Menschen oder Erlebnisse. Das ganze Buch lebt von Erinnerungen, die subjektiv sind, die falsch sein können, die bewußt umgelogen wurden, die entzaubert werden, die mißinterpretiert werden. Übersetzungsfehler des Bewußtseins. Sprachfehler der Erinnerung.
Nur andere können einen so respektlosen Blick auf das Eigene werfen. Hier also blickt ein Jude auf die Eigenheiten der Deutschen, auf ihre Sprache als eines ihrer Heiligtümer. Noch nie war fehlerhafte Grammatik so grandios.
Tomer Gardi, Broken German, Roman, Droschl Verlag, Graz 2016, 144 Seiten, 19,00 EUR.
Dieser Text ist erschienen im DRESDNER Kulturmagazin 10/2016.