Der Fotograf als Erzähler ­- Portraits von Helfried Strauß

Im Sommer 2015 war in der Sächsischen Akademie der Künste eine Ausstellung mit Fotografien von Helfried Strauß, emeritierter Professor für Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, zu sehen. Dieser Text zur Ausstellung erschien im DRESDNER Kulturmagazin 07/2015.


Die Stube ist viel zu klein für den großen runden Tisch, um den sich die Familie zum Essen versammelt hat. Die Küche ist pragmatisch eingerichtet, und draußen auf der Wiese steht verloren eine zum Pflanzkübel umfunktionierte Zinkbadewanne. Der von Helfried Strauß in den Jahren 1979 bis 1981 geschaffene Bilderzyklus „Die Fähre“ erzählt vom Leben der Fährfrau Brigitte: von ihrer Familie, ihrer Arbeit, sommers wie winters. In monochromen Bildern zeigt er das völlig unspektakuläre Leben dieser Menschen ­ eine Einfachheit und Normalität, die nichts zu tun hat mit der verschnörkelten Weltflucht für Stadtbewohner, wie sie in Hochglanzmagazinen propagiert wird.

Helfried Strauß‘ Fotografien sind derzeit in einer Ausstellung der Sächsischen Akademie der Künste zu sehen. Neben den Bildern von der Fähre stehen insbesondere Künstlerportraits im Zentrum, denn der Fotograf war dabei, als sich die Großen der Literatur, Musik und der Bildenden Kunst aus Ost und West begegneten. Dem Besucher bieten sich ungeahnte Einblicke: Christa Wolf mit Günter Kunert und HAP Grieshaber in ausgelassener Stimmung an einem Esstisch oder Katja Lange-­Müller beim Wimperntuschen. Man wird Zeuge von intimen Momenten, die nur Freunde miteinander teilen, man sieht das Miteinander von Künstlern, man sieht Verbundenheit, man sieht Hierarchien.

Kuratiert von den Schriftstellerinnen Angela Krauß und Kerstin Hensel, die beide auch zu den Porträtierten gehören, wirkt die Ausstellung ein wenig wie eine Hommage an sich selbst – als habe
ein elitärer Kreis sein Familienalbum geöffnet. Vielleicht ist es auch eine Rückschau der Akademiemitglieder auf vergangene Zeiten und der Versuch einer Verortung im Jetzt: Dort standen wir damals, wo stehen wir jetzt? Die Fotografien von Helfried Strauß sind leise und poetisch. Auf einem schmalen Grat zwischen Dokumentation und kunstvoller Erzählung, sind sie von gleichermaßen anachronistischer und zeitloser Ästhetik.

Strauß selbst sieht sich nicht als Dokumentaristen. „Die wichtigsten Bilder wurden immer die, die über das Dokumentarische hinaus einen Mehrwert hatten. Ich finde, der Begriff der Dokumentarfotografie ist einer der unschärfsten und missverständlichsten überhaupt“, sagt er. Dennoch sind die Bilder Dokumente: Sie sind nicht inszeniert, sondern aus dem Fluss der Zeit geborgene Augenblicke, auf Zelluloid gebannt und so dem Verrinnen entrissen.


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