»To secure peace is to prepare for war«

Zum Roman »Nationalstraße« von Jaroslav Rudis

Vandam heißt so, weil er wie Jean-Claude 200 Liegestütze am Stück macht. Vandam hat, so heißt es, im Spätherbst 89 auf der Prager Nationalstraße mit dem ersten Schlag die Samtene Revolution ins Rollen gebracht. 25 Jahre später hockt er trotzig noch immer in seiner Plattenbausiedlung im Prager Norden. Tagsüber arbeitet er als Dachlackierer, abends sitzt er mit Kumpels in der Kneipe. »Touristen kommen zu uns keine. Unten in die Stadt schon. Aber zu uns auf den Berg nie. Was nur gut ist. Das hier ist unsere Welt. Unser Kosmos. Fremde haben hier nichts zu suchen.« Er hebt die rechte Hand zum Gruß. »Hat mit den Nazis nichts zu tun. Römischer Gruß! Ist doch alles nur Spaß. Ich bin ein Römer. Kein Nazi.«

In einem langen Monolog legt Vandam seinen Blick auf die Welt dar: Eine Welt der Männer, in der immer Krieg herrscht – von Anfang an. Kriege, Schlachten, Eroberungen und Niederlagen. Und auch das Zusammenleben mit den Frauen ist Krieg. Von heidnischer Spiritualität beseelt, besingt er die Bäume des Waldes, allen voran eine alte Ulme mit einem Steinkreis, bei dem sich vor Urzeiten die alten Krieger versammelten. Mit seinen Zechkumpanen ruft er Erinnerungen an Wildschweinbraten und Rehschnitzeln hervor, durch die Väter eigenhändig erlegt. Die konnten das noch richtig, das Jagen.

Die Plattenburg, in der er lebt, wurde durch eben diese Vätergeneration dem Wald und Sumpf abgetrotzt und aufgebaut. Im Sommer, wenn die Mücken kommen, und im Winter, wenn die Keller feucht werden, dann fühlt Vandam, dass sich die Natur alles wieder zurückholen will. Auf der Kreuzung glaubt er, einen Wolf gesehen zu haben.

Er verteidigt seine Burg wie damals bei den Hussiten: gegen Eindringlinge, die sich nicht anpassen. »Ich hab mit keinem ein Problem. Aber wenn einer Remmidemmi macht, dann muss ich das mit ihm klären. Ich mag Anstand und Ordnung.« So verprügelt er einen Touristen aus der Nähe von Brünn, den sein Ausflug nach Prag auch in der Plattensiedlung im Norden führt. Und nachdem Vandam ihm die Nase gebrochen hat, reicht er ihm versöhnlich Taschentücher: »Unten in der Stadt, dort kannst Du Ausflüge machen. Aber hier nicht.«

Nein, früher war nicht alles besser. Immer wieder brechen schmerzhafte Erinnerungen durch: an den unheilbar kranken Vater, der sich aus dem Fenster stürzte, an die verwirrte Mutter – und an die Herbsttage des Jahres 1989, die Vandam beiseitewischt. Da ist ein blinder Fleck, da ist eine Leiche im Keller, die nicht er nicht ans Licht lassen will.

Jaroslav Rudis hat diese Geschichte nach einer realen Begegnung gestaltet. In einem Interview mit cafebabel.de erzählt er, wie der Bruder eines guten Freundes ihm seine Lebensgeschichte schilderte. »Ich fand das total faszinierend – sehr düster, traurig, brutal, aber auch poetisch und zart«, sagt Rudis. Das Ende des Kommunismus habe eine Generation der Gewinner hervorgebracht, zu der sich Rudis auch selbst zählt. Ihr gegenüber stehen jedoch viele Enttäuschte mit ihren Ängsten und Vorurteilen, ihren Unsicherheit und Aggressionen. Menschen, über die leicht der Stab gebrochen wird: weil sie wohnen, wo sie wohnen, weil sie aussehen, wie sie aussehen, weil man hört, was sie sagen, doch man weiß nicht, warum. Menschen wie Vandam, die je nach Perspektive coole Säue oder arme Würstchen sind, Autoritäten oder Niemande.

Der »Schlag in die Magengrube«, den der Klappentext bei der Lektüre verspricht, bleibt leider aus. Der Ton des Buches ist eine Nuance zu verhalten, zu gedrechselt. Schwer zu entscheiden, ob es an der Übersetzung liegt, denn Eva Profousová ist eine der renommiertesten Literaturübersetzerinnen aus dem Tschechischen. Aber man kommt nicht umhin, eine große Sympathie für den Maulhelden Vandam zu empfinden, ihm seine Sprüche tatsächlich als tschechischen Humor abzukaufen und in ihm den harmlosen Nachbarn von nebenan zu erkennen.

Jaroslav Rudiš, »Nationalstraße«, übersetzt von Eva Profousová, Luchterhand 2016, 160 Seiten, 14,99 Euro.

erschienen im DRESDNER Kulturmagazin 5/2016

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