Spätsommermorgen (August)

Ich bin auf dem Weg in die Bibliothek. Habe im Garten die Beete gegossen und schnell die letzten Reste des gestrigen Abendbrots weggeräumt. Es wird warm werden heute, doch das Gras ist noch voller Tau, ich bekomme nasse Zehen. Kein Gedanke kreuzt mein Gehirn, und wenn doch, dann habe ich ihn bereits vergessen, als ich zu jener Bank komme, auf der ein Mann sitzt, vor dem eine Frau hockt. Ihre Arme halb um seine Hüften geschlungen, kauert sie am Boden, das Gesicht verweint. Ihre Haltung flehend: heb mich auf, ich bin ganz unten. Seine beiden Hände streichen durch ihr Haar, immer wieder, und er spricht mit leiser, ruhiger Stimme. Was er sagt, höre ich nicht. Doch ich weiß schon, er wird sie nicht aufheben. Er wird ihr mit vernünftigen Worten erklären, daß alles nicht so schlimm ist, ein Mißverständnis vielleicht, ein Irrtum. Daß sie allein aufstehen kann und wird. Und sie wird zu seinen Füßen verharren, aus der Zeit gefallen, gelähmt und taub. Die Minuten werden sich in ihrem Kopf ausdehnen zu Ewigkeiten, bis er aufsteht, weil er gehen muß. Vielleicht wird er ihr doch die Hand geben, vielleicht wird er sie sogar grausam umarmen, und dann wird er sich umdrehen und sie wird dastehen und die Bank ansehen. Sie wird die Sonne als ein heißes Gewicht auf ihren Schultern spüren, und darunter wird sie frieren.

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