Isabell ist Berufsmusikerin. Nach der Elternzeit beginnt sie, beim Musizieren zu zittern – anfangs nur manchmal, dann immer häufiger. Sie verliert ihren Job. Fast gleichzeitig verliert auch ihr Mann Georg wegen Sparmaßnahmen seiner Zeitung die Stelle.
Mit ihrem Debütroman hat Kristine Bilkau eines der wichtigsten Bücher dieses Jahres veröffentlicht. Es ist der Blick hinter die Fassade einer beliebigen Familie, die scheinbar alles richtig gemacht hat: die richtigen Berufe (Selbstverwirklichung), die richtige Wohngegend (Altbau), der richtige Konsum (nachhaltig). Dann folgt der Abstieg, doch er vollzieht sich nicht sichtbar für die Mitwelt, sondern nur in den Köpfen der Protagonisten. Georg beginnt beim Einkauf zu sparen („Andere machen so etwas ihr Leben lang, dann werden er und Isabell das wohl eine Weile lang aushalten.“), Isabell kauft aus Trotz weiterhin Luxusartikel („Ob sie dieses Kleid kauft oder nicht, ändert nichts an der Gesamtsituation. […] Sie wird sich etwas Teures kaufen, denn noch kann sie sich etwas Teures kaufen.“)
Sie geraten in einen Strudel aus Ängsten, Sprachlosigkeit und Ohnmacht. Doch der Moment, in dem nichts mehr zu retten scheint, geht einfach vorüber. Die Welt ist nicht untergegangen, was folgt, ist: Alltag.
Bilkau beschreibt sehr genau und nüchtern, ohne Ironie. Es ist keine Abrechnung, eher eine Aufdeckung der Täuschungen, eine Entblößung all der Wunsch- und Tagträume vom schönen Leben auf Hochglanz. Und es kostet Mut, dieses Buch in die Hand zu nehmen, denn Kristine Bilkau stellt Fragen, denen man sich nicht gern aussetzt: die Angst vor dem sozialen Abstieg, die Angst vor dem Scheitern des eigenen Lebensentwurfs, vor dem Nichtgenügen und der Möglichkeit, dass man, ohne es zu merken und zu wollen, zum Hochstapler geworden ist. Die Angst, dass es wahr sein könnte, was die gesicherten Existenzen mit ihren geschmackvollen Wandfarben und Regalwänden voller Bücher zu sagen scheinen: Wir können, du nicht.
Kristine Bilkau, Die Glücklichen, Luchterhand 2015, 304 Seiten, EUR 19,99.
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erschienen im DRESDNER Kulturmagazin 10/2015