»Und Beckett lacht sich ins Fäustchen« – Marion Brasch im Interview

Marion Brasch

2012 erschien Marion Braschs erster Roman »Ab jetzt ist Ruhe«, in dem sie sich mit ihrer Familiengeschichte auseinandersetzte: mit ihrem Vater Horst Brasch, der einst stellvertretender Kulturminister der DDR war, und mit ihren Brüdern Peter, Klaus und Thomas Brasch. Alle drei waren Künstler, alle sind früh vor ihrer Zeit gestorben.
Sie erzählt gern über ihre Familie, und sie erzählt auch gern über ihr neues Buch »Die irrtümlichen Abenteuer des Herrn Godot«.

Wenn man mit oder über Marion Brasch spricht, kommt man um die Familie nicht herum. Dabei fällt auf, dass Du als Autorin nicht den tragischen Ton hast, den man beinahe erwarten würde. Bist Du eine Komödiantin?

Marion Brasch: Als Komödiantin sehe ich mich eigentlich nicht. Komödianten stehen doch eigentlich auf der Bühne und machen Spaß. Was ich mag, ist Komik. Selbst in tragischen Geschichten gibt es immer auch etwas Komisches. Das zu finden und davon zu erzählen – das finde ich interessant. Insofern bin ich vielleicht eher ein Transportmittel für die Komik.

Dann bist Du »die andere Seite der Medaille?«

Marion Brasch: Ich glaube nicht. Meine drei Brüder hatten großes komisches Talent. Thomas und Peter waren Dichter und Dramatiker, aber sie haben auch sehr lustige Geschichten und Hörspiele für Kinder geschrieben. Und mein Schauspieler-Bruder Klaus war wirklich das, was man einen Komödianten nennt. Also, ich sehe mich nicht als andere Seite der Medaille. Die Komik ist vielleicht eine Facette, die mich inzwischen stärker begleitet.

Gab es Momente, in denen Du dachtest, Du mußt Dich von Deiner Familie »freischwimmen«?

Marion Brasch: Ganz und gar nicht. Diesen Druck habe ich nie verspürt. Ich habe mich nicht für besonders talentiert gehalten und hatte auch nicht diesen Ehrgeiz. Zwar habe ich auch geschrieben, aber nur so für mich. Erst als meine Familie nicht mehr da war und ich den Roman über sie geschrieben habe, wurde mir klar, dass mir das Schreiben wichtiger ist, als ich dachte. Ich hatte aber nie das Bedürfnis, mich zu befreien, dazu habe ich zu gern in dieser Familie gelebt.

Wie ist es, wenn jemandem die eigene Familiengeschichte nicht gehört? In dem Sinne, dass sie ausgedeutet wird und dass von außen Leute erzählen, wie der Vater, die Brüder, die Familie insgesamt »funktioniert« hat?

Marion Brasch: Beim ersten Buch passierte es manchmal, dass Leute kamen und mir Geschichten über meine Eltern oder meine Brüder erzählt haben. Das war für mich sehr interessant und bereichernd, weil es eine andere Perspektive ist. Es ist allerdings nie passiert, dass jemand sagte, meine Familie sei ganz anders gewesen, als ich sie erzählt habe. Eine Familiengeschichte ist und bleibt immer die eigene. Ich glaube, es wäre absurd, jemandem die eigene Familie erklären oder diese gar deuten zu wollen.

Dann haben Dich die Kritiken zu Deinem Familienroman auch nicht so getroffen, in denen bemängelt wurde, man würde zu wenig über den wahren Thomas Brasch erfahren?

Marion Brasch: Diese Kritiker wollten wahrscheinlich ein anderes Buch lesen. Sie hatten etwas anderes erwartet und vielleicht gedacht, ich erzähle jetzt die große Geschichte von Thomas Brasch – die ich aber nicht erzählen will und auch nicht erzählen kann, weil ich nur einen kleinen Ausschnitt davon kenne. Ich habe nur meinen subjektiven Blick auf meinen Bruder – und den habe ich auch erzählt. Wenn manche Leute damit unzufrieden waren, kann ich damit leben. Ich finde das nicht schlimm. Sie dachten vielleicht, ich habe das Thema verfehlt, das ist aber eher deren Problem und nicht meins.

Marion Brasch Godot

Nun zum neuen Buch. Es sieht aus, als besäßest Du ein ganzes Sammelsurium von eigenartigen Gestalten, die endlich auf die Menschheit losgelassen werden sollen. Die große Popeline, das Unterird, der Dunkelmunk – wo kommen die alle her?

Marion Brasch: Die kommen aus meiner komischen Phantasie. Es macht mir unglaublich großen Spaß, Figuren zu erfinden, die mit der Realität nicht so viel zu tun haben, sondern merkwürdige Fabelwesen sind. Die sind zwar in eine surreale Welt gestellt, aber haben durchaus menschliche Eigenschaften, glaube ich.

Wie die große Popeline …

Marion Brasch: Genau! Die ist zum Beispiel so eine Art seltsame Übermutter, die ein bisschen gruselig ist und manchmal ganz schön übergriffig wird.

Es sind Sachen, die man nie erwartet.

Marion Brasch: Ich lese selbst total gern solche Sachen. Ich glaube allerdings, dass das wirklich Geschmackssache ist. Ich bin auch schon Leuten begegnet, die mit solch absurden Geschichten überhaupt nichts anfangen können und das für Quatsch und Blödsinn halten. Naja, ist es ja irgendwie auch …

Und warum ausgerechnet Godot, die Chimäre der Weltliteratur?

Marion Brasch: Das ist natürlich eine gerechtfertigte Frage, denn es ist ja schon sehr anmaßend, sich einer Figur der Weltliteratur zu bedienen, die eigentlich nicht vorhanden ist. Ich liebe dieses Stück von Samuel Beckett, und ich habe mich – wie viele andere auch – gefragt, wer denn dieser Godot ist. Da gibt es ja ganze Abhandlungen darüber, dass es sich um Gott handeln könnte, oder um den Tod.
Bei mir ist Godot ein Typ, der unterwegs ist und vergessen hat, wo er hinsoll. Der irgendwie verloren ist in der Welt und deshalb nie dort ankommt, wo er eigentlich erwartet wird.

Ich weiß natürlich nicht, was Beckett sich dabei gedacht hat. Aber ich habe den Verdacht, er würde sich ins Fäustchen lachen angesichts der Metaebenen, die manche Leute aufmachen. Ich glaube, Beckett war ein Scherzkeks. Er hat ja zum Beispiel Buster Keaton unglaublich geliebt – also diese Art von Humor, die hinter der Tragik verborgen liegt.

Weiß Godot, daß da zwei Leute seit fast siebzig Jahren auf ihn warten?

Marion Brasch: Keine Ahnung. Das ist ja eben die große Frage. Vielleicht weiß er es. In meinem Buch weiß er es aber nicht.

Wie ist Dein Godot entstanden? Woraus ist er entstanden?

Marion Brasch: Er ist eigentlich durchs Radio entstanden – in meiner Sendung »Songbook«. Ich habe da hauptsächlich Songs gespielt, in denen Geschichten erzählt wurden. Tom Waits, Joni Mitchell, Velvet Underground aber auch ganz unbekanntes neues Zeug. Ich habe dann immer erzählt, worum es in den Songs geht. Irgendwann fand ich das nicht mehr so gut und dachte, dass die Erzählung eigentlich jemand anderes übernehmen sollte. Und da bin ich auf Godot gekommen: Ihn hab ich losgeschickt, er ist zwischen den Songs spazieren gegangen und hat erlebt, was darin beschrieben wurde. Mit der Zeit wurde er immer wichtiger, und am Ende dienten die Songs eigentlich nur noch dazu, ihm den Weg zu bereiten.

Herzlichen Dank für das Gespräch!


[erschienen in verkürzter Form im DRESDNER Kulturmagazin 04/2016]

Marion und Godot in Rheinsberg:

Und eine Geschichte aus dem Buch: Wie der Lackaffe zu seinem Namen kam.

Kommentar verfassen